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SONGS HOW I SEE

Eröffnungsrede von Mag. Veronika Rudorfer, Freie Kuratorin und Kunstkritikerin, Berlin zur Einzelausstellung SONGS HOW I SEE – Kunstverein sehsaal, Wien, 7.5.2025

Daniel Amin Zamans künstlerische Praxis ist geprägt von einer philosophisch-reflexiven Haltung, welche Dualismen, ein hergebrachtes „westliches“ Verständnis von (künstlerischer) Subjektivität und konventionelle Formen von Bedeutungsproduktion hinter sich lässt und in komplexen repetitiven Operationen Kunst/Kunstwerk und Ritual/Relikt ineins fallen lässt. In Überwindung von ideologischen Kategorisierungssystemen wie „West“ und „Ost“ – Zamans Elternteile stammen aus Indien und Österreich – und in präziser Auseinandersetzung mit jenen philosophischen Zugängen, welche in den Upanishaden fundiert sind, legt er seine künstlerischen Arbeiten nicht als Ergebnisse eines an einem bestimmten Punkt abgeschlossenen Produktionsprozesses an, sondern fasst sie vielmehr als dynamisch-performative Relikte einer rituellen Handlung. Agens dieser Handlung ist dabei nicht eine fixierte Bedeutungsproduktion – Zamans Arbeiten zielen dezidiert nicht darauf ab, eine Aussage zu treffen. Vielmehr sehen sich die Betrachter*innen mit einem kontinuierliche Reflexion bedingenden, werkimmanenten Rezeptionsprozess konfrontiert.

Meint man in den hier im sehsaal gezeigten Teilen der Serie I remind me of me (2021/22), welche eine 3 mal 3,6 Meter große Installation konstituieren, zunächst neun idente Gemälde auszumachen, offenbart sich in einem über bloßes visuelles Konsumieren und das simple Erkennen von Bildinhalten sowie von vermeintlicher künstlerischer Originalität hinausgehenden Wahrnehmungsprozess die rituelle Gemachtheit jedes Teils jenseits von einem subjektiv überhöhten gestischen Duktus oder technischer Reproduktion. Durch Zamans Eingriffe in konventionelle institutionelle Präsentationsformen – dies beschreibt er treffend mit dem „von-der-Wand-Holen“ der Arbeiten – geraten Kategorien wie Wand/Boden, Vertikalität/Horizontalität, aber auch die hergebrachten Regeln des Hängens und Positionierens von Kunstwerken, wie etwa Hängehöhe oder die Bedeutung der zentralen Prellwand eines Ausstellungsraums ins Wanken. 

Über die durch Kunstharz spiegelnden Oberflächen von I remind me of me setzt Zaman einen Dialog mit den anderen, skulpturalen Arbeiten der Ausstellung Songs how I see in Gang: So verweisen die mit Blind Folders (2024/25) betitelten Objekte auf eine Negation von Bedeutung oder Aussage, als Gefäß für Informationen bleiben sie bewusst blind. In awaiting tune of a windy yester (2024/25) wird Zamans, die Wertzuschreibungen des Kunstmarkts unterlaufender Zugang zu Materialität, offenbar: Das gefundene und alltägliche Material von leeren Chipstüten kehrt er zu reflektierenden Oberflächen um, die er in einen Kreislauf von zyklischer Nutzung einspeist, wie er sich in Indien aus einer schieren Notwendigkeit heraus ergibt: Alles Vorhandene wird (neu-)gestaltet und (wieder-)verwendet. Dieser kritisch-ökologische Zugang zu Gegenständen doppelt sich wiederum auch auf der rezeptiven Ebene, wenn die Betrachter*innen in der Ausstellung mit dem eigenen Spiegelbild und damit der eigenen Präsenz im Ausstellungskontext konfrontiert werden. Als inszenatorische Klammer setzt Zaman the triumphant return of leaving (2025) ein, wenn die Arbeit selbst den Raum erschließt und vermeintlich reduzierte und bis heute dominante Ästhetiken der (Post-)Conceptual Art ironisch hintertreibt.

Zaman selbst spricht in Bezug auf seine künstlerische Praxis von Akten der Repetition als Leerformel oder Entleerungsformel: Die Zeichen verlieren ihre Bedeutung und die Rezipient*innen sehen sich entgegen einer sonst überbordenden Fülle von Signifikaten und Signifikanten einer bewusst erzeugten Absenz ebendieser gegenüber. Diese spezifische Abwesenheit oder Leere könnte Rudolf Arnheims wahrnehmungspsychologischem Zugang entsprechend auch wie folgt gefasst werden: „Die Leere sehen heißt, etwas in eine Wahrnehmung aufnehmen, das in sie hineingehört, aber abwesend ist; es heißt, die Abwesenheit des Fehlenden als eine Eigenschaft des Gegenwärtigen zu sehen.“[1] Somit lässt Zaman eine komplexe Form von Leere durch tautologische Wiederholung beziehungsweise daraus resultierender paradoxaler Präsenz entstehen.

Bei Songs how I see handelt es sich eindeutig nicht um eine Werkschau und damit nicht um eine bloße Bestandsaufnahme des Status quo eines künstlerischen Produktionsprozesses, welcher Subjektivität und Bedeutung erzeugt und (vermeintliche) vermarktbare Originalität herstellt. Vielmehr entwirft Zaman, indem er die eigene Subjektivität entgegen den Paradigmen eines westlich geprägten Idealtypus des genuin männlichen Künstlergenies und Kunstproduzenten hinter sich lässt, ein vielstimmiges, sich aus bildlichen Songs im Sinne von Gesängen konstituierendes Klangbild, dessen Urheber eine diskrete, aktive und mitunter kathartische Stille der gegenwärtigen (visuellen) Kakophonie vorzuziehen scheint.


[1] Rudolf Arnheim, Anschauliches Denken, Köln 1972, S. 92.